Eine aufregende Woche im November 1989 und ihre „Folgen“ für mein Leben

Am Freitag, den 10.11.1989, war ein ganz besonderer Schultag für uns Schüler der 10. Klasse. In der Nacht zuvor, am 09.11.1989 passierte etwas für uns zu diesem Zeitpunkt Unvorstellbares. Es gab zwar schon in den Monaten vorher immer wieder Kundgebungen und Demonstrationen von mutigen Leuten, aber an eine so schnelle und friedliche Wendung der Ereignisse glaubte bis dahin niemand so wirklich.
Also zurück zu diesem ereignisreichen Tag und die noch aufregendere Woche danach. Es gab nahezu kein anderes Thema unter uns Jugendlichen wie die Möglichkeit, nun endlich auch die andere Seite Deutschlands kennen zu lernen. Wir redeten viel miteinander und über unsere Träume, die nun alle möglich waren, verwirklicht zu werden. Als in der darauffolgenden Woche die Möglichkeit bestand sich den begehrten Ausreisestempel in den Meldeämtern zu holen und bei uns auch noch der Staatsbürgerkundeunterricht ausfiel, war es beschlossene Sache! „Wir gehen alle zusammen dorthin und holen uns den Stempel“!, machte einer den Vorschlag. Gesagt! Getan! Ach, wir waren schon eine eingeschworene Gemeinschaft! Als alles in „Sack und Tüten“ war, gingen wir natürlich wieder zur Schule, aber nicht ohne uns vorher zu einem gemeinsamen Ausflug nach Bebra verabredet zu haben.
Am folgenden Samstag, den 18.11.2014, war es dann soweit, nachdem wir uns natürlich schon im Vorfeld mit dem für uns unvorstellbar hohen Begrüßungsgeld ausgerüstet hatten, fuhren wir gemeinschaftlich mit dem Zug nach Bebra. Auf uns stürzten mit einem Schlag so viele Eindrücke ein, die für uns eigentlich unfassbar waren. Ich weiß noch wie heute, was ich mir an diesem Tag „zugelegt“ habe: Es waren Jeans für 19,99 DM (unvorstellbar günstig), ein tolles Shirt für 10,00 DM und was für uns als Teenies nicht fehlen durfte und immer heiß begehrt war, eine Bravo. Den Rest dieses für mich wahnsinnig hohen Geldbetrages sparte ich mir auf. Dieser Tag war schon sehr aufregend und gab uns natürlich für lange Zeit Gesprächsstoff.
Allerdings wurden wir ein paar Wochen und Monate später natürlich auch mit einigen unangenehmen Geschichten konfrontiert. Wir sollten nun im Sommer 1990 die Schule abschließen, d.h. wir mussten unsere eigentlich in der aktuellen Situation nicht ganz vorhersehbare Lebensplanung in Angriff nehmen. Da waren Fragen wie:
– Lohnt es sich noch Abitur zu machen, wird es anerkannt?
– Wie sieht es mit den Lehrstellen aus, geht das alles seinen Weg?
– Oder sollten wir nun eventuell doch unsere Träume in Angriff nehmen?
Da war schon auch viel Unsicherheit in dieser Zeit, doch was soll ich sagen. Ich nahm meine Ausbildung wie geplant in Angriff und wurde Kinderkrankenschwester, um dann doch festzustellen, dass ich den Beruf aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen gar nicht ausüben durfte.
Also alles auf Anfang: Mit dem Schicksal hadern bringt ja nichts und eine Ausbildung im benachbarten Hessen zur Industriekauffrau in Angriff genommen und auch abgeschlossen. Bis heute muss ich sagen, ich habe keinen meiner Schritte bereut. Ich arbeite seit nunmehr gut 20 Jahren in diesem Beruf und bin eigentlich ganz glücklich mit meiner Wahl. Ich gehe sowohl in meinem Job auf, kann aber auch die Zeit mit meiner Familie nutzen.
Für mich war diese Wende vor 25 Jahren sowohl beruflich als auch privat auf alle Fälle ein Gewinn, den ich nicht missen möchte. Es gab allerdings mit Sicherheit auch Menschen, die diese komplette Kehrtwende in ihrem Leben nicht so gut gemeistert haben.
Diesen Menschen und all denen, die bis heute noch von „Wessis“ und „Ossis“ reden, wünsche ich, dass auch sie endlich die neuen Chancen in ihrem Leben erkennen und nutzen!

HeastNed